Nacht
(geschrieben von Petra Hansen)
Stets der gleiche Tagesablauf gegliedert in Essen, Arbeiten und Schlafen, Kindergeschrei und Gezeter.
Sie war still, wollte nicht mehr reden. Im Bad vor dem Spiegel schnitt sie sich die Haare. Nicht genug Geld für den Friseur. Aber egal, die Haare waren lang, glatt und glänzten. Das würde niemand bemerken. Sie hatte den Dreh raus Menschen zu täuschen. Niemand wäre jemals auf den Gedanken gekommen, dass es ihr schlecht ging.
Frech streckte sie sich selbst die Zunge im Spiegel heraus.
„Jetzt erst recht“, dachte sie.
Die Badezimmertür sprang auf, im Türrahmen stand ein weinendes Kind.
„Mama, die…die…hat….“
Wut stieg in ihr hoch. Er saß doch im Wohnzimmer, das direkt neben dem Kinderzimmer lag. Warum kümmerte er sich nicht einmal um sie?
Keine Sekunde mehr, die ihr alleine gehörte. Alle zerrten nur an ihr und ständig musste sie reden, wo sie doch lieber schwieg.
Obwohl sie gerne weggelaufen wäre, nahm sie das weinende Kind bei der Hand und ging an ihm vorbei ins Kinderzimmer. Sie schlichtete beruhigend den Streit und kehrte zurück.
Da saß er, der Mann den sie einmal geliebt hatte.
Er redete unentwegt von seinen Träumen, die er nie verwirklichen würde. Seine einzige Verbindung zur Realität war sie. Stets eingreifend, wenn er sich in Träumen verlor.
Es gab eine Zeit da hätte sie alles getan um mit ihm diese Träume zu verwirklichen. Bis sie bemerkte, dass er unfähig war etwas in die Tat umzusetzen.
Wieder einmal hörte sie ihm zu. Einsamkeit im Herzen, nickte sie nur. All die Sorgen, weil zuwenig Geld da war und er redete von Haus, Garten und Urlaub.
Innerlich lachte sie ihn schon lange aus.
Diese Fassade…..das war nicht sie.
Hassen konnte sie ihn schon lange nicht mehr. Im Grunde war er ihr gleich.
Er sprach sie an: „Du musst mich morgen um 4 Uhr zur Arbeit fahren.“
Sie sah auf die Uhr, schon wieder so spät. 23 Uhr genau.
Das hätte er auch früher sagen können.
Aber warum? Versunken in sich selbst bemerkte er sie schon lange nicht mehr.
Sie gingen zu Bett und sie legte sich neben ihn, genügend Abstand um ihn zu ignorieren. Nach 5 Minuten schlief er.
Kein liebes Wort, keine Frage wie es ihr ging. Genauso gut hätte sie tot sein können.
Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, dachte an all die Lieblosigkeit und unglaubliche Wut stieg in ihr hoch.
Kinder wollte er, doch nur wenn sie gut gelaunt waren. Schlechte Laune musste sie ertragen.
Wenn sie etwas nicht sofort schafften, drehte er durch. Ständig brüllte er sie an, weil sie nicht funktionierten. Vor allen Dingen wenn er Publikum hatte. Dann trumpfte er gerne auf.
Zuhause weniger, denn sie brüllte zurück und stellte sich vor ihn. Er war 20 cm größer als sie. Doch wenn sie sich aufbaute und vor die Kinder stellte, dann schwieg er und ging.
Reden konnte sie nur mit ihm, wenn es sich um Dinge handelte die ihn interessierten.
Und das war wenig, denn am liebsten redete er über sich selbst.
War sie krank, fuhr er weg. Waren die Kinder krank, dann beklagte er sich über zuwenig Schlaf und dass sie das mit Absicht machten. Oder er sagte mal wieder, sie sei es schuld, weil sie es zuließ, dass die Kinder mit denen ihrer Freundin spielten. Denn seine Kinder bekamen so etwas nur wegen anderen.
Der Kopf rotierte und hielt sie wach. So richtete sie sich auf und saß mit angewinkelten Beinen neben ihm.
Wenn er tot wäre, hätte sie keine Probleme mehr.
Aber er war nicht gerade schwach. Um ihn zu ersticken, musste sie sich schon auf das Kissen auf seinem Kopf legen und mit ihrem Körper seinen zur Ruhe zwingen. Das würde bestimmt 10 Minuten Kampf bedeuten.
Nein, das war es nicht.
Sie stand auf, ging im Dunkeln in die Küche und zog das diamantgeschliffene Fleischmesser blind aus der Schublade. Dann ging sie in normaler Lautstärke zurück zum Bett, denn wenn sie schlich wurde er sofort hellwach. Ein Überbleibsel aus seiner Bundeswehrzeit.
Sie setzte sich neben ihn im Schneidersitz, das Messer in der Hand. Langsam ließ sie es durch die andere Hand gleiten. Ein leichter Riss in der Haut, egal. Sie leckte das Blut ab.
Sie würde ins Gefängnis kommen. Aber wenn sie auf seelische Grausamkeit plädierte, gab es vielleicht mildernde Umstände.
Sie weinte, wiegte ihren Oberkörper hin und her wie ein Kind. Zu viele Schmerzen…..
Das Messer schwer in der rechten Hand.
Schon 1 Uhr. In drei Stunden begann es wieder….ihr kleines persönliches Horrorkabinett. Das Mondlicht schlich sich durch die Seiten des Rollos herein und tauchte das Zimmer in ein unwirkliches Licht.
Wenn sie ihn erstechen würde, musste sie richtig treffen. Sie zog seine Bettdecke zurück und betrachtete seinen Körper.
Vielleicht sollte sie es doch mit dem Kissen machen, Blut hinterließ so eklige Flecken und die Matratzen waren teuer.
Er seufzte im Schlaf und wandte ihr das Gesicht zu, das sie einmal so geliebt hatte.
Wieder weinte sie, umschlang ihre Knie und schaukelte hin und her. So viele Schmerzen und so viele Ängste und dieses Gefühl nichts tun zu können.
2.30 Uhr.
Noch 1 1/2 Stunden und die Nacht war vorüber.
Sie würde ihre Kinder wohl nicht mehr sehen. Ach, die Armen. Dabei hatte sie alles versucht, damit es ihnen gut ging. Sie hatte sich selbst soviel verweigert und es gerne getan. Die unglaublich starke Liebe der Kleinen war viel mehr, als sie erwartet hatte.
Wieder betrachtete sie das Messer in ihrer Hand. Es glänzte im Mondlicht.
Damit wäre es endgültig.
Kein Schlaf war möglich. Schon seit 2 Tagen nicht mehr.
Völlig entkräftet schaffte sie es nicht mal zu frühstücken. Jeden Tag zwang sie sich mittags eine Tasse Brühe hinein. Nichts ging mehr. Alles schmeckte gleich. Sie sah ihn an, wandte sich zu ihm hin, hob das Messer und streifte dann ganz sanft seine Brust, dort wo das Herz saß. Er seufzte im Schlaf.
Dann lächelte sie auf ihn herab.
Lieben konnte sie ihn nicht mehr. Der Hass war vorbei.
Es gab einen anderen Weg, nur für sie selbst.
Sie stand auf.
3.30 Uhr.
Sie machte in der Küche Licht, legte das Messer zurück und kochte Kaffee wie jeden Morgen.
Als er erwachte lächelte sie ihn an. Doch diesmal war es anders, fast hochmütig. Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und rieb ihre linke Hand. Als er es bemerkte, griff er nach ihr und sah sie an. Ein 4 Zentimeter langer Schnitt mitten in der Handfläche.
Merkwürdig, sie hatte es gar nicht so stark empfunden.
„Wie ist denn das passiert?“ fragte er.
„Als ich eben den Tisch gedeckt habe, habe ich aus Versehen in das Fleischmesser gegriffen.“
„Wir sollten einen Messerblock kaufen, dann passiert so etwas nicht.“
„DM 69,90“, ging es durch ihren Kopf.
Er trank den Kaffee aus, zog sie ins Bad und schnitt ein Pflaster für sie zurecht, mit dem er die Wunde abdeckte.
„Das ist eine ganz blöde Stelle. Es wird lange dauern bis das heilt.“
Sie nickte nur, zog sich an, sah noch einmal nach den Kindern, die friedlich in ihren Betten lagen und schliefen. Vor 8 Uhr würden sie nicht erwachen.
Dann löschte sie das Licht, ging mit ihm zum Wagen und setzte sich ans Steuer.
Es regnete ganz leicht, doch das war ihr egal.
Sie drehte die Scheibe an der Fahrertür herunter, schaltete das Radio ein und sang zur Musik, während sie ihn zur Arbeit fuhr. Diesmal mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht.
Er jedoch war heute schweigsam.